Die Städtepartnerschaft zwischen Reinheim und Fürstenwalde, das etwa 40 Kilometer östlich von Berlin liegt, war gleichzeitig auch eine historische. Denn es war nicht nur die fünfzigste, die zwischen einer DDR-Kommune und einer westdeutschen geschlossen wurde, es war auch gleichzeitig die letzte. Denn kurz nach Unterzeichnung der Partnerschaftsverträge fiel 1989 die Mauer.
Seinen Ursprung hatte alles in den achtziger Jahren mit einem Angebot der Reinheimer DKP, die Jugendlichen einen Aufenthalt in der DDR vermittelte. Daraus resultierte schließlich ein Antrag fürs Parlament, eine Städtepartnerschaft anzustreben. Diverse Anfragen aus der Reinheimer Stadtverwaltung an Erich Honecker wurden jedoch schon von der Ständigen Vertretung der DDR in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn abgelehnt. Schließlich halfen die Parteikontakte zwischen DKP und SED. Bei einem DKP-Parteitag in Wuppertal, bei dem auch Renate Grieger aus Reinheim war, gab es schließlich Grünes Licht für die Partnerschaft von Seiten der SED, von der auch Funktionäre dort waren. Fürstenwalde wurde zugeteilt, ohne dass es dort viele wussten, wie sich der ehemalige Bürgermeister Manfred Reim erinnert. Er war damals als Mitglied der NDPD Stadtverordneter in Fürstenwalde.
Es folgte der erste Besuch einer Fürstenwalder Delegation. „Sie durften nicht in Reinheim untergebracht werden, schon gar nicht in Familien“, erinnert sich der ehemalige Reinheimer Stadtverordnetenvorsteher Harald Heiligenthal (SPD). Wenige Monate später fuhren die Reinheimer nach Fürstenwalde. Mit dem Flugzeug ging es nach Berlin, dort mit der Bahn zum Grenzübergang Friedrichstraße. Von dort wurden sie abgeholt und nach Fürstenwalde gefahren. Mit dabei auch zwei Mitarbeiter der Stasi. „Das wussten wir aber damals nicht“, sagt Heiligenthal. Als er nach dem Mauerfall die Stasi-Akte des Besuchs der Reinheimer Delegation bekam, staunte er nicht schlecht, wie lückenlos die Reinheimer an der Spree überwacht wurden. „Dass sie einem nicht nachts die Haare auf dem Kopf gezählt haben, war alles“, sagt Heiligenthal heute.
Der erste Eindruck von der neuen Partnerstadt war erschreckend: „Da waren noch die Einschusslöcher aus dem Zweiten Weltkrieg an den Häusern, die hatte nie einer weggemacht“, schildert Heiligenthal. Schließlich wurde die Partnerschaftsurkunde in Fürstenwalde unterzeichnet. „Es war eine außerordentliche Sitzung der Stadtverordnetenversammlung“, erinnert sich Manfred Reim. „Am Eingang bekamen wir die Vertragsunterlagen, und als wir den Saal verlassen wollten, sollten wir Stadtverordneten sie wieder abgeben. Das haben nicht alle gemacht, ich auch nicht.“ Die DDR vertraute ihren eigenen Politikern offenbar nicht. Nach dem Mauerfall kam schließlich das Signal aus Fürstenwalde, dass die Partnerschaft trotzdem gerne beibehalten würde. Also gab es Anfang 1990 noch eine Verschwisterungsfeier in Reinheim. Danach war die Partnerschaft ganz offiziell von beiden Seiten besiegelt – und sie hält bis heute. (Thomas Bach)
Harald Heiligenthal und Manfred Reim blicken zurück:
Reinheim – Der Reinheimer Harald Heiligenthal war einer der wenigen Südhessen, die den 3. Oktober 1990 in der ehemaligen DDR erlebt haben. Der ehemalige Stadtverordnetenvorsteher und pensionierte Lehrer war zu Gast bei der Wiedervereinigungsfeier in Reinheims Partnerstadt Fürstenwalde. Die Partnerschaft war gerade mal ein Jahr alt, heute blicken die Menschen dort und hier auf 30 Jahre geeintes Deutschland zurück. Sowohl Heiligenthal (71) als auch der damalige Bürgermeister von Fürstenwalde, Manfred Reim (76), ziehen zwar ein sehr differenziertes Fazit dieser langen Zeit, sind sich aber einig: Es gab und gibt keine Alternative zur Wiedervereinigung.
„Ich habe noch niemanden getroffen, der sich nicht über die Wiedervereinigung gefreut hätte“, sagt Heiligenthal, räumt aber ein, dass die Erwartungen vor allem im Osten sehr groß waren. „Sie sind davon ausgegangen, dass es in kürzester Zeit eine Kopie der Bundesrepublik dort gibt. Das wurde enttäuscht.“ Vor allem die Arbeitslosigkeit, die heute noch in einigen Teilen der neueren Bundesländer groß ist, sei ein Nährboden für Extremismus. „Wenn es gelungen wäre, Arbeit dorthin zu bringen, dann wäre viel Misstrauen heute nicht da“, sagt Heiligenthal.
Manfred Reim: Vorteile über Vorteile
„Die Entwicklung ist hier nicht so gelaufen, wie es sich viele in der damaligen Euphorie vorgestellt haben“, sagt auch Reim. Dennoch sei die Wiedervereinigung eine „großartige Angelegenheit“: „Sie hat uns im Osten wesentliche Vorteile gebracht, auch von der Selbstständigkeit her, die aber auch anstrengend war und ist, wenn man vorher ein fremdbestimmtes Leben geführt hat.“ Reisefreiheit, Meinungsfreiheit, die Verbesserung der Infrastruktur, wirtschaftlicher Wiederaufbau: Alles Vorteile, die das geeinte Deutschland gebracht hat. „Ich glaube auch, dass sich das keiner mehr wegwünscht“, sagt Reim. „Aber jeder und alle können nicht glücklich sein. Das geht nur sehr langsam, alleine aus unserer Historie heraus.“ So könne das eher landwirtschaftlich geprägte Thüringen nicht aus dem Stand auf das Niveau eines industrialisierten Bundeslandes wie Nordrhein-Westfalen gehoben werden.